Das letzte Kapitel!

Der unerwartete Tod meines Mannes veranlasst mich, unsere Lebensgeschichte mit diesem letzten Kapitel abzuschließen. 
Mein vorhergehender Bericht mit dem Titel „Neuer Anfang“ endete mit der Feststellung, dass wir Workaholiker seien, d.h.Menschen, die ohne Arbeit nicht leben können. Dazu möchte ich sagen, dass wir beide – mein Mann und ich – sehr gerne arbeiteten und uns die Arbeit Spaß machte. Aber die letzten 2 Jahre fiel es meinem Mann immer schwerer bei seiner Arbeit durchzuhalten und er musste sich öfter ausruhen. Sein Herz wollte nicht mehr, immerhin war er 80 Jahre alt und arbeitete seit seinem 14.Lebensjahr. Er war ein anerkannter Spezialist für das Überholen von Automotoren, besonders Oldtimerfreunde aus ganz Deutschland suchten seine Hilfe und seinen Rat. Das Auto war sein Leben. Trotz seiner Schwäche stand er immer wieder an der Werkbank und an seinen Maschinen, es dauerte halt alles ein bisschen länger. Er war medikamentös gut eingestellt und hätte noch einige Jahre leben können. Aber leider kam es anders. Siehe dazu das Protokoll über seinen Tod am Ende dieses Berichtes. Da ich mich schuldig fühle, weil ich ihn zur Fahrt ins Krankenhaus überredet habe, möchte ich einen Nachruf  erstellen und ein wenig über sein Leben berichten.

Seine Jugend während der Kriegszeit war dieselbe wie bei allen Kindern damals. Bei Kriegsende war er noch nicht 14 Jahre alt und die Schulzeit war damit beendet. Sein Vater war Landwirt und bewirtschaftete einen Bauernhof. Im Juni 1945 wurde der Vater mit zusammen ca. 3000 Menschen aus Saaz und Umgebung von den Tschechen nach Postelberg gebracht und dort mit vielen anderen ermordet. Darunter waren auch Kinder zwischen 12 und 15 Jahren, welche vor den Augen der Väter hingerichtet wurden, weil sie flüchten wollten. Dieses Geschehen kann man im Internet finden unter „Massaker von Postelberg“. Die letzte Erinnerung an seinen Vater war, dass er ihm etwas zu essen zustecken wollte, als er in einer Gruppe von Gefangenen an ihm vorbeiging. Der Vater strich ihm über den Kopf und ein  Tscheche mit Gewehr jagte ihn fort. Das Essen durfte er ihm nicht geben. Zu dieser Zeit arbeitete er bereits bei einem alten Tschechen in einer Schmiede, der ihn angefordert hatte. Das hat ihn wahrscheinlich gerettet. Nach einigen Monaten wurde er dann ins tschechische Gebiet gebracht und in einem Bergwerk zwangsverpflichtet, die Sohle war 1000m tief. Die Zustände dort waren schlimm und als er bei einem Unfall unter eine Lore geriet und verletzt wurde, musste er viele Km laufen, um einen Arzt zu finden. In der Woche gab es 1 Brot, welches man aber gleich essen musste, weil es sonst von den anderen gestohlen wurde. Ansonsten jeden Tag Suppe aus faulen Kartoffeln. Nie wieder wollte er Kartoffelsuppe essen. Nach ca. einem ¾ Jahr wurde er dann entlassen, weil seine Mutter ausgesiedelt werden sollte. Sie wollte aber nicht ohne ihren Sohn fort. Sie hatte schon einen Sohn (17Jahre alt) im Krieg Februar 1945 verloren. Als er bei seiner Mutter ankam war gerade Erntezeit und sie mussten auf die Felder zum Ernten, weil viele Deutsche schon ausgesiedelt waren und keine Leute mehr da waren. Er musste dann auch noch ackern mit Pferd und Ochse. Er hat uns immer erzählt, dass er sich dabei gerächt habe, indem er die Furchen viel zu weit auseinander machte.

 Im September 1946 wurden sie dann ausgesiedelt. Er fand eine Lehrstelle in einer Autowerkstatt, welche aber nach kurzer Zeit den Betrieb einstellte, sodass er bei einer anderen Firma die Lehre beenden musste. Nach bestandener Lehre wurde er arbeitslos und arbeitete dann bei der Gemeinde, im Weinberg und als Fahrer beim Holztransport aus dem Wald. Das war eine schwere Arbeit, die Fahrzeuge waren alt und es gab keinen Kran zum Aufladen der Baumstämme. Nach einiger Zeit konnte er bei den Amerikanern in Wiesbaden eine Stelle bekommen, wo amerikanische Modelle gewartet wurden. Aber auch diese Werkstatt wurde 1950 aufgelöst und er musste sich nach Arbeit umsehen. Ein Freund besorgte ihm dann eine Stelle bei einer VW Vertragswerkstatt. Zehn Jahre war er dort beschäftigt hauptsächlich mit Motor- und Getriebeüberholungen, aber auch mit Fahrzeuglackierungen. 1960 legte er dann die Kfz-Meisterprüfung ab und einige Jahre später auch die Prüfung zum Maler- und Lackierermeister. 1953 lernten wir uns kennen und 1955 haben wir geheiratet. Er hat immer gesagt, dass ich ihm Glück gebracht habe.

Sein Hobby waren Autorennen und später auch Motorbootrennen. 1966 im Alter von 35 Jahren fing er mit dem Rennsport an, zuerst Slaloms, Rallyes, dann Bergrennen und Rundstrecke, z.B. in Hockenheim, Mainz-Finthen und auf dem Nürburgring. Das ging so 10 Jahre lang, bis er endlich mir zu liebe damit aufhörte und versprach, keine Autorennen mehr zu fahren. Aber nach 10 Jahren Pause packte ihn das Rennfieber wieder und er verlegte sich auf das Motorboot fahren. Zuerst mit einem Wiking Schlauchboot, damit wurde er 1991 deutscher Meister in der 850er Klasse. Dann begann er mit einem Katamaran der Klasse S850 und auch damit hatte er viele Erfolge. An vielen Wochenenden waren wir unterwegs und ich lernte viele Städte kennen. Nach der Wende ging es oft in den Osten, z.B. nach Rostock, Dessau, Riesa, Wolgast und Magdeburg. Auch nach Holland und nach Budapest/Ungarn. 

Dort fand das Rennen direkt auf der Donau vor dem Parlamentsgebäude statt und das am Nationalfeiertag mit einem fulminanten Feuerwerk. Endlich mit 65 Jahren gab er sein Hobby auf.

 Im Sommer machten wir meist 3 Wochen Betriebsferien und fuhren mit unseren Kindern durch Europa, immer als Camper mit Zelt, Anhänger oder Reisemobil durch Italien, Frankreich, Schweiz, Oesterreich und auch in die alte Heimat nach Tschechien. 1974 ging es zum ersten Mal mit einem FIAT 238 Wohnmobil nach Norden durch Norwegen bis zum Nordkap und zurück über Finnland. Diese Reise war nicht groß geplant, erst vor dem AB-Kreuz Wiesbaden stimmten wir ab, ob wir nach Süden oder Norden fahren wollten. 3 waren für Norden und 2 für Süden. Und dann hat uns diese Reise so gut gefallen, dass wir ab diesem Zeitpunkt öfter nach Skandinavien gefahren sind.

 Als wir eines Tages gefragt wurden, ob wir die Überführung von 2 Fahrzeugen (FIAT 125 S und BMW) für Freunde nach Persien übernehmen wollten, haben wir sofort zugesagt. In der Osterwoche 1975 starteten wir dann und schafften die 5600 km in 6 Tagen zusammen mit 2 unserer Kinder, die unbedingt dabei sein wollten. Es war eine tolle und abenteuerliche Reise. Über unsere Fahrten könnte ich ein Buch schreiben, an dieser Stelle hier würde es zu weit führen. Ein Navi haben wir dazu nicht gebraucht, wir wussten immer wo wir waren. 

Bei all diesen Reisen und auch bei den Auto- und Bootsrennen ist nie etwas Ernsthaftes passiert, auch von Krankheiten wurden wir verschont. Er hatte immer einen Schutzengel. Nur im Krankenhaus hat ihm sein Engel nicht geholfen. Ich hätte ihn dort nicht zurücklassen und  auf „eigene Verantwortung“ wieder mitnehmen sollen. Das mache ich mir zum Vorwurf. 
Siehe nachstehendes Protokoll !
 


Dokumentation über das Sterben meines Mannes und unseres Vaters und Opas !

19.2.2013 – Besuch beim Hausarzt – Kathederwechsel (alle 6 Wochen) – ansonsten Zustand des Patienten zufrieden stellend. 
Einige Tage später leichte Erkältung – Husten. Kein Fieber !

26.2.2013 – 16Uhr – Husten wird schlimmer – Vermutung: Wasser in Lunge! (in letzten 2 Jahren 2x der Fall) Hausarzt nicht erreichbar – in Urlaub. Praxis empfiehlt: Gewicht kontrollieren.
17Uhr –Anruf bei Notrufzentrale. Auskunft: „Wir sind erst ab 22Uhr zuständig“. Warum nennen die sich „Notruf-Zentrale“?
 Daraufhin Fahrt mit eigenem PKW ins Krankenhaus. 
Bitte um eine Spritze (Furosemid) für Entwässerung. (hat schon 2x geholfen) Patient wird auf Liege gebettet. Schwester versucht am linken Arm Blut zu entnehmen – ohne Erfolg. 
Junger Arzt schreibt, untersucht aber Patient nicht, trotz Aufforderung ihn abzuhören. Er sagt ohne hinzusehen:“ Patient hat Lungenentzündung“. Patient muss im Liegen Wasserlassen (Katheder) in einen Plastikbehälter. Urin ist klar und rein. Furosemid-Spritze wird nicht gegeben. Es wird Röntgen und Ultraschall angeordnet. Patient muss trotz Protest im Krankenhaus bleiben. Entlassung nur auf eigene Verantwortung ! 
In der 1.Nacht verlässt Patient nur mit Schlafanzug-Oberteil bekleidet das Krankenzimmer und geht über 2Treppen einen Stock tiefer, wo er dann gefunden wurde. So fit war er da noch.
An den nächsten 2 Tagen Blut im Kathederbeutel. Angeblich durch Manipulation des Patienten. (er ist seit 4 Jahren an Katheder gewöhnt) Am 3. Tag stellt Ehefrau fest, dass Patient einen anderen – gelben statt blauen – Katheder hat. Auf Nachfrage, warum Katheder gewechselt wurde, die Antwort: Verdacht auf Infekt ! Blut im Beutel war also durch unnötigen und unsachgemäßen Kathederwechsel entstanden. Suchte man dringend eine Krankheit, weil er doch keine Lungenentzündung hatte? Patient hatte einen genau für ihn passenden Katheder aus Silicon, den er ohne Beschwerden mindestens 6 Wochen tragen konnte. Im Krankenhaus verwendet man nur Katheder aus Latex (Notfallkatheder), welche nicht von allen Patienten vertragen werden und auch nur für kurze Zeit gedacht sind. 
Patient bekommt 2 verschiedene Antibiotika aus Tropfbeuteln und etliche Spritzen in Bauch – Kortison? Plötzlich hat er auch Zucker 245. 
Bei Besuch am Morgen (8Uhr – Frühstück war noch nicht serviert) stellt Ehefrau fest, Patient hat den Mund voller Essen (Brot u Käse) vom Abend vorher, sie lässt es ihn ausspucken. Er kann nicht mehr schlucken. Zunge ist dick und rot und belegt. Daraufhin wird Arzt 3x angesprochen, ob Soor im Mund. Bei der 3. Anfrage wird er unwirsch und sagt: „Kein Befund auf Soor im Mund“. 
2 Tage später wird andere Ärztin auf Jucken am Bauch und auf den Armen hingewiesen. Sie verschreibt Salbe. Dabei zeigt Patient nach Aufforderung der Ehefrau die Zunge vor und Ärztin stellt Soor fest. Sie sagt: Schwestern hätten ihr nicht mitgeteilt, dass Patient nichts essen kann. Patient wird immer schwächer – kann nicht essen, nicht trinken, nicht sitzen. Die Bitte um künstliche Ernährung wird vom Arzt abgelehnt, Patient würde die Einleitung abreißen. Ehefrau holt auf eine Empfehlung von außerhalb von Apotheke flüssige Nahrung und zeigt sie der Schwester mit der Bitte, Patient damit zu füttern, wenn sie selber nicht anwesend ist. Da erhält sie die Antwort: „Diese Nahrung haben wir selber und die brauchen Sie nicht zu kaufen.“ Wurde aber bis dahin nicht angeboten.

12.3.2013
Patient hat nur noch dünnes Krankenhaushemd an – hinten offen! (im Zimmer Durchzug) Auf die Frage warum ? Es soll eine Untersuchung geben. Diese wird den ganzen Tag verschoben, weil Blut wegen Marcumar zu dünn. 

13.3.2013
Den ganzen Tag nur leicht mit Hemd bekleidet, wegen dieser bevorstehenden Untersuchung, die aber nicht erfolgt. 

14.3.2013
Frage an Ärztin – was das für eine Untersuchung sein soll. Die Antwort: Ein Schlauch soll in den Schlund geschoben werden, dabei die Gefahr der Verletzung und Verblutung (Marcumar). Ehefrau lehnt diese Untersuchung ab und verlangt die Entlassung. Zum 1.Mal bekam sie nicht die Antwort „Auf eigene Verantwortung“. In den Tagen vorher hörte sie das mindestens 5x. Wer übernimmt jetzt eigentlich die Verantwortung? In diesen paar Tagen hat sie mindestens 5 Ärzte/innen gesehen, welche mit Schreibarbeiten auf dem Gang beschäftigt waren. Eine Visite hat sie nicht erlebt, obwohl sie fast den ganzen Tag anwesend war.
Patient wurde um 14.30Uhr lt. Arztbericht in „stabilem AZ (Allgemein-Zustand) entlassen“ und mit Malteser nach Hause gebracht. 
Pflegedienst und Pflegebett waren bestellt. 
Pflegedienst ruft eine Ärztin, da Hausarzt nicht zu bekommen ist. Sie stellt eine Niereninsuffizienz fest. Es war auch schon seit 2 Tagen kein Wasser mehr im Kathederbeutel. 
Außerdem konnte sie keine Lungenentzündung feststellen. Es wurde eine Tropfflasche mit Wasser angeschlossen. Patient hat Atem-Aussetzer und ist nicht mehr ansprechbar.

15.3.2013
Morgens 2x Durchfall, obwohl schon 2 Wochen nichts gegessen. Nachmittags noch mal mit viel Blut im Stuhl. 
Atmung nach leichter Schräglage leise und regelmäßig. 
21.50Uhr Patient öffnet ein wenig die Augen und bewegt Mund und Zunge, als wollte er etwas sagen. 
Patient stirbt.

Resümee
Auf eigenen Beinen am 26.2. ins Krankenhaus gegangen und um eine Entwässerungsspritze gebeten, aber nicht erhalten. Diagnose ohne Untersuchung: Lungenentzündung. Entlassung nur auf eigene Verantwortung! Nach 16 Tagen  kaputt zum Sterben nach Hause entlassen durch zuviel unnötige Medizin und Geld bringende Untersuchungen mit medizinischer Technik. Am 26.2. lässt man ihn nicht gehen, weil er angeblich zu krank sein soll und nach dem Krankenhausaufenthalt von 16 Tagen  wird er dann in „stabilem AZ“ entlassen und mit Krankentransport nach Hause gebracht. Man empfahl Krankengymnastik. Papier ist geduldig, ich bin es nicht.
Ich musste das alles aufschreiben, denn ein solches Ende hat er nicht verdient. Er war ein tüchtiger, fleißiger, ehrlicher und guter Mensch und hätte noch gut einige Jahre leben können. 

Denn es geschehen Dinge, die wir nicht begreifen 
Wir stehen machtlos und stumm daneben.

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