Mein Heimattal
von Heini Ennisch geschrieben in den Jahren 1949/50

Dort, wo den Lamnitzbach am Ende
das Tepelflüßchen mit sich nimmt,
Laub- und Fichtenwald behende
die steilen Hänge rings erklimmt,
dort in dem Tal,
das tief und schmal
an`s Flüßchen geschmiegt
sich krümmet und biegt,
über`s Gestein der Zinnbach schäumt,
mein Heimatort verborgen träumt.

Dort tat ich meine ersten Schritte
an Mutters fürsorglicher Hand
und ihre Liebe, ihre Güte
erschufen mir ein Märchenland.
O, selige Zeit,
wie bist du so weit,
als ein einziger Mai
so zogst du vorbei
und nimmermehr kehrtest du zurück
so sorglos heiter, so voller Glück.

Als der schreckliche Krieg entbrannte,
den teu`ren Vater mir entriß,
das Leid, das ich bisher nicht kannte,
in unserem Heim sich niederließ,
als gar noch die Not
am täglichen Brot
die Sorgen vermehrte,
das Leben erschwerte,
da war`s wie ein Trost in aller Qual:
Du bist noch das alte, liebliche Tal.

Von Tag zu Tag lernte mehr ich es lieben,
wart glücklich nur, wenn ich ihm nah,
nichts konnte seinen Zauber trüben,
was immer auch mit ihm geschah.
Mußte ich fort, 
mein Herz, es blieb dort;
die Sehnsucht war groß,
nie wurd`ich sie los,
bis endlich es hieß: "Ich kehre zurück";
wie war ich da selig und wunschlos vor Glück.

War auch das Auge manchmal geblendet
von einer fremden, schönen Stadt,
gern hab ich mich von ihr gewendet,
wenn sich die Abschiedsstund`genaht.
Du Heimattal,
mit jedem Mal
war mehr ich entzückt,
wenn ich dich erblickt.
Zum Feste ward jedes Wiedersehn,
wie schien das Leben mir so schön.

Die Zeit jedoch sie steht nicht stille,
ein Bösewicht das Land regiert,
sein Haß, sein Neid, sein starker Wille
den Kriegsbrand eifrig wieder schürt.
"Es leb der Krieg
Fall oder Sieg 
Die Feinde sind schlecht
Mit uns ist das Recht" !
So schreit der blutgierige Tor.
Ein  Morden hebt an, wie niemals zuvor.

Und wieder schlägt die Abschiedsstunde,
wie wird das Scheiden mir so schwer,
aus glücklicher Familienrunde
zwingt man auch mich an das Gewehr.
Groß ist die Not,
blind wütet der Tod.
Herzen in Furcht und Qual,
die Welt ein Jammertal.
Am Ende aber kein Siegessang,
nein Chaos nur und Untergang.

Verzweiflungsvoll ist meine Lage,
fern von den Lieben, fern vom Tal
quält mich die eine bange Frage:
"Seh ich die Heimat noch einmal?"
Die Lieben mein
wo mögen sie sein?
Ob ich sie wiederseh´
dort in des Tales Näh`?
Hilf, lieber Gott, auch dieses Mal,
daß ich sie wiederfind` im Tal.

Und der Herrgott hatte Erbarmen,
ließ mich die Heimat wiedersehn`,
meine Lieben küssen, umarmen,
daß ich glaubte, vor Glück zu vergehn.
War auch die Welt
ein Trümmerfeld,
die Menschen weit und breit
erfüllt von Gram und Leid,
so war doch nie ein Wiedersehn
so schön, so unvergleichlich schön.

Doch ist dem Menschen dieser Erden
das dauerhafte Glück versagt.
"Was wird in Zukunft aus uns werden?"
fragt man sich selbst und wird gefragt.
Es fällt das Wort:
"Ihr müsst fort!"
Kaum einer freuet sich,
mich dünkt es fürchterlich,
das Tal zu verlassen für immerdar,
das mir so lieb und so teuer war.

Sie zogen alle aus dem Tale
an die mich Lieb- und Freundschaft band,
ich war allein mit einem Male,
weil ich den Mut zum Geh`n nicht fand.
In dumpfer Qual
seh ich mein Tal
vom fremden Element
urplötzlich überschwemmt.
Einsam streif` ich im Tal umher,
doch hab ich an ihm keine Freude mehr. 

Ob ich das Glück je wiederfinde, 
das ich in diesem Tal genoß?
Ob ich den Kummer je verwinde,
der mir das Herz so fest verschloß?
Jetzt wär ich gern
dem Tale fern,
doch fremder Wille bannt
mich an dieses Land.
An der Erinn`rung zehr ich still
und denke mir: " `s ist Gottes Will".

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